Gastbeitrag von Gabor Steingart Grafiken zeigen die wichtigsten Schuldentreiber in Deutschland

Gastautor Gabor Steingart (Berlin)

Montag, 14.08.2023, 09:35

Der Schuldenstand der Bundesrepublik lag in der Nacht von Montag auf Dienstag um Punkt 12 bei genau 2.553.778.035.460 Euro. Die Grafiken zeigen, welche Faktoren die Schulden in Deutschland so extrem in die Höhe treiben.

The Pioneer In Deutschland kommen pro Sekunde derzeit 3.817 Euro neue Schulden dazu.

"Wie Frettchen hängen sie an meinen Beinkleidern", beklagte sich einst SPD-Finanzminister Peer Steinbrück über seine Kabinettskollegen. Ihre immer neuen Ausgabenwünsche hatten ihn genervt.

Christian Lindner geht es nicht besser. Selbst die seit 2011 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse, die die staatliche Neuverschuldung für die Länder verbietet und für den Bund auf maximal 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts beschränkt, schützt ihn nicht vor den Begehrlichkeiten seiner Kabinettskollegen.

Klima. Krieg. Konjunktureinbruch. Irgendein Grund findet sich immer, um vom Finanzminister Geld zu fordern, das er nicht besitzt.

In der folgenden Grafik-Story hat das Pioneer-Team - vor dem Hintergrund der neuerlichen Debatte über die Schuldenbremse - den weltweiten Kontext, den europäischen Schuldenaufbau und die wichtigsten Schuldentreiber im Inland visualisiert. Die Reduktion von Komplexität soll helfen, die Dynamik der Schuldenpolitik zu verstehen und die oft naive politische Debatte durch Fakten zu bereichern.

Europa: Auch der Stabilitätspakt konnte die Verschuldung nicht stoppen
  1. Die Schuldenorgie ist ein weltweites Phänomen. Die Corona-Pandemie - und damit der weltweite Lockdown der Volkswirtschaften - rief den Staat auf den Plan. Der holte sich das Geld vom Kapitalmarkt.
  2. Die Verschuldung der USA ist auch eine Folge der veränderten Weltmarktposition: Der größte Exporteur wurde zum größten Importeur der Welt - und kaufte sich Wohlstand am Kapitalmarkt dazu. Die Pandemie wirkte auch hier als zusätzlicher Schuldentreiber.
  3. In Europa konnte auch der Stabilitätspakt die Verschuldung bisher nicht stoppen. An das Maastricht-Kriterium, wonach die Gesamtverschuldung maximal 60 Prozent des BIPs betragen darf, halten sich heute nur noch 14 der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
  4. In Deutschland zeigt die Schuldenuhr des Steuerzahlerbundes das Tempo der Verschuldung des Staates. Pro Sekunde kommen derzeit 3.817 Euro neuer Schulden dazu. Der Schuldenstand der Bundesrepublik lag in der Nacht von Montag auf Dienstag um Mitternacht, auf den Euro genau, bei 2.553.778.035.460 Euro.
  5. Schuldentreiber Inflation
  6. Die Schwarze Null, die Überbietung der Schuldenbremse bis hin zur schwäbischen Sparsamkeit, wurde nur in den Amtszeiten der Finanzminister Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz eingehalten. Danach ging es im Gefolge von Corona, Krieg und Inflation wieder steil nach oben.
  7. Schuldentreiber Inflation: Die EZB hat den Leitzins im Gefolge der Geldentwertung auf inzwischen 4,25 Prozent angehoben. Dadurch steigen auch die Zinsausgaben für den Bund.
  8. Schuldentreiber Migration: Auch der verstärkte Zuzug aus Nahost und der Ukraine fordert den Staat durch zusätzliche, bis dahin nicht geplante Ausgaben. Stand Ende 2022 leben über drei Millionen Schutzsuchende in Deutschland, allein aus der Ukraine kamen im vergangenen Jahr eine Million Flüchtlinge dazu.
  9. Der Bundesrechnungshof spricht vom versteinerten Haushalt: Knapp 90 Prozent aller Staatsausgaben des Bundes sind durch Zinsausgaben, Personalaufwand und gesetzlich verpflichtende Leistungen festgelegt. Die Investitionen - und das sind die Ausgaben, die für die Zukunft gedacht sind - liegen bei 51,5 Milliarden Euro und damit nur bei 10 Prozent der Ausgaben für den Haushalt 2022.
  10. Geschichte der Überforderung des Gemeinwesens
  11. Der Sozialstaat expandiert schneller als die Volkswirtschaft in Gänze. Die Sozialstaatsquote - die Summe aller Sozialausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt - steigerte sich von 20,2 Prozent im Jahr 1970 auf 30,5 Prozent im Jahr 2022.
  12. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes - die im Unterschied zur Schwarzen Null eine limitierte Verschuldung erlaubt - wird dank buchhalterischer Tricks eingehalten. Für jede Sonderausgabe wurde ein sogenanntes Sondervermögen gegründet, das im Grunde aber kein Vermögen, sondern einen Schuldschein enthält.

Fazit: Diese zehn Punkte erzählen die Geschichte einer Überforderung des Gemeinwesens. In dieser Situation das Grundgesetz zu ignorieren oder als Begründung für zusätzliche Schulden den ökonomischen Notstand auszurufen, ist politisch bequem, aber ökonomisch fahrlässig.

Doch warum soll es Christian Lindner besser gehen als Ludwig Erhard, der rückblickend sagte: "Ich habe als Bundesminister 80 Prozent meiner Kraft dazu verwendet, gegen Unfug anzukämpfen." Erhard ging, der Unfug blieb.


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